Redemoment Psychotherapie

Wenn die Tage kürzer werden: Herbst, Winter und unsere Stimmung

– Julia Benner

Im Sommer hatte ich in meinem Blog schon über das Thema Sommerdepression geschrieben – ein Phänomen, das vielen gar nicht bekannt ist, weil eher die dunkle Jahreszeit mit Stimmungsschwankungen verbunden wird. Doch genau das macht die Auseinandersetzung mit Saisonalität und Psyche so spannend: Unser Wohlbefinden ist enger mit Jahreszeiten, Licht und biologischen Rhythmen verwoben, als wir oft denken.

 

Warum die dunkle Jahreszeit auf die Stimmung schlägt

Der Herbst bringt mit seinen Farben und Spaziergängen zwar eine gewisse Gemütlichkeit, gleichzeitig verändert sich aber auch unser Biorhythmus spürbar:

  • Weniger Tageslicht: Mit den kürzeren Tagen sinkt die Lichtintensität. Das beeinflusst die Ausschüttung von Melatonin (unserem „Schlafhormon“) und die Regulation von Serotonin, das eng mit Stimmungslage und Wohlbefinden verknüpft ist.
  • Vitamin-D-Mangel: In Deutschland reicht die Sonneneinstrahlung ab Oktober kaum mehr aus, um ausreichend Vitamin D zu bilden. Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen niedrigen Vitamin-D-Spiegeln und depressiven Symptomen (z. B. Anglin et al., 2013, British Journal of Psychiatry).
  • Zirkadiane Rhythmik: Unser innerer Taktgeber reagiert auf Licht. Wenn dieser Rhythmus „verstimmt“ ist, erleben wir häufiger Müdigkeit, Reizbarkeit oder Antriebslosigkeit.

 

Die bekannteste Form davon ist die saisonale affektive Störung (SAD), oft auch Winterdepression genannt. Schätzungen zufolge sind in Nordeuropa etwa 2–5 % der Bevölkerung betroffen, während bis zu 20 % eine abgeschwächte Form – den sogenannten „Winterblues“ – kennen (Lam & Levitan, 2000, American Journal of Psychiatry).

 

Psychologische Dimension : Warum wir uns anders fühlen

Neben den biologischen Prozessen spielen auch psychologische Faktoren eine Rolle:

  • Veränderung des sozialen Rhythmus: Im Sommer sind wir mehr draußen, aktiver und sozial eingebunden. Im Herbst ziehen wir uns eher zurück. Das kann Geborgenheit schaffen – aber auch Einsamkeit verstärken.
  • Kognitive Muster: Studien zeigen, dass Menschen im Winter eher zu Grübeln und pessimistischen Gedanken neigen (Rohan et al., 2009). Das liegt u. a. daran, dass weniger positive Erlebnisse (z. B. Sonne, Bewegung draußen) als Gegengewicht verfügbar sind.
  • Symbolik der Jahreszeit: Herbst steht für Abschied, Vergänglichkeit, „Verblühen“. Diese Symbolik kann bei manchen Menschen unbewusst Traurigkeit aktivieren.

 

Praktische Strategien: Was helfen kann

Die gute Nachricht: Es gibt viele Möglichkeiten, den eigenen Rhythmus zu stabilisieren und aktiv Einfluss auf die Stimmung zu nehmen.

 

1. Lichttherapie

    • Klinisch bewährt ist die Behandlung mit einer Lichttherapielampe (10.000 Lux, morgens 20–30 Minuten). Studien belegen eine Wirksamkeit, die vergleichbar mit Antidepressiva sein kann (Lam et al., 2006).
    • Auch im Alltag hilft es, so viel Tageslicht wie möglich zu tanken – Spaziergänge am Vormittag sind besonders effektiv.

 

2. Bewegung

    • Regelmäßige körperliche Aktivität hebt nachweislich die Stimmung und wirkt antidepressiv (Schuch et al., 2018, American Journal of Psychiatry).
    • Besonders hilfreich: Bewegung im Freien, auch bei grauem Wetter.

 

3.Struktur & Routinen

    • Der Herbst lädt zu Rückzug ein, gleichzeitig tut es der Psyche gut, verbindliche Routinen zu haben: Feste Aufstehzeiten, Essenszeiten, kleine Rituale.
    • Achtsamkeits- und Atemübungen helfen, den inneren Fokus zu stärken.

 

4.Ernährung & Vitamin D

    • Viele Betroffene profitieren von einer ärztlich begleiteten Vitamin-D-Supplementierung.
    • Eine ausgewogene, ballaststoffreiche Ernährung stabilisiert den Blutzucker und wirkt sich positiv auf Stimmung und Energielevel aus.

 

5.Soziale Kontakte bewusst pflegen

    • Dunkelheit und Kälte führen leicht zu Rückzug. Aktiv geplante Treffen mit Freund:innen oder Familie wirken vorbeugend gegen Einsamkeit.
    • Auch kleine Gesten – ein Telefonat, ein gemeinsamer Spaziergang – können Schutzfaktoren sein.

 

6.Professionelle Unterstützung suchen

    • Wenn die Niedergeschlagenheit über Wochen anhält, der Antrieb stark reduziert ist oder Suizidgedanken auftreten, ist es wichtig, sich professionelle Hilfe zu holen. Psychotherapie kann dabei unterstützen, Muster zu erkennen und neue Bewältigungsstrategien aufzubauen.

 

Ein persönlicher Gedanke

In meiner Arbeit mit Patient:innen sehe ich jedes Jahr, wie unterschiedlich wir auf die Jahreszeiten reagieren. Während manche im Sommer durch die Hitze und die ständige Erwartung von Aktivität unter Druck geraten – wie ich es bereits im Artikel zur Sommerdepression beschrieben habe – spüren andere im Herbst und Winter den Rückzug und die Dunkelheit besonders stark. Spannend ist: Beide Phänomene haben eine gemeinsame Basis, nämlich die Empfindlichkeit unseres Körpers und unserer Psyche für äußere Reize wie Licht, Temperatur und soziale Rhythmen. Gerade diese Sensibilität zeigt aber auch, dass es hilfreich sein kann, Jahreszeiten bewusster wahrzunehmen und nicht nur als „normalen Hintergrund“ zu sehen. Statt gegen den Herbstblues anzukämpfen, kann es heilsam sein, neue Rituale zu entwickeln, die dieser Jahreszeit entsprechen – sei es ein regelmäßiger Spaziergang im Morgenlicht, das bewusste Einplanen von Pausen oder kleine Routinen, die Wärme und Geborgenheit schaffen. So entsteht eine Balance zwischen Akzeptanz und Aktivität, die langfristig Resilienz fördert.

In meiner Praxis erlebe ich jedes Jahr, dass die dunkle Jahreszeit Menschen besonders fordert. Gleichzeitig sehe ich auch, dass der Herbst eine Chance für Entschleunigung sein kann: Sich bewusst einzurichten, kleine Inseln der Freude zu schaffen – sei es ein Abend mit Kerzen, ein Spaziergang durch buntes Laub oder ein neues Ritual der Selbstfürsorge.

Während der Sommer uns oft nach außen zieht, lädt der Winter dazu ein, nach innen zu schauen. Manchmal entsteht daraus nicht nur Stabilität, sondern auch eine Form von innerem Wachstum.

 

👉 Wenn du merkst, dass dich die dunkle Jahreszeit stärker belastet, als du es allein bewältigen kannst, melde dich gerne für ein Erstgespräch in meiner Praxis Redemoment in Hamburg. Gemeinsam können wir herausfinden, was dir hilft, deine Balance in dieser Jahreszeit zurückzugewinnen.